Es war eine Begegnung zweier Generationen, die keine Gemeinsamkeiten hat. Hier eine Gruppe Schüler/innen, die eine unbeschwerte Jugend hat. Dort ein 80 Jahre alter Mann, der seine besten Jugendjahre in einem Konzentrationslager verbrachte.
Menachim Kallus, der das Konzentrationslager Ravensbrück überlebte, referierte vor Schüler/innen der Klassenstufe 9. Die Begegnung war in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung zustande gekommen.
Kallus lebt in Israel und kommt regelmäßig zu Vorträgen nach Deutschland. Begleitet wurde er von seiner Schwester Emmi Abel. Ebenfalls mit dabei: Die als Kabarettistin bekannte Alice Hoffmann; sie war mit Kallus’ verstorbenem Bruder liiert und fungiert als Übersetzerin. Erst vor wenigen Jahren hat Menachim Kallus sein Schweigen gebrochen und seine Erlebnisse in einem Buch festgehalten; Alice Hoffmann hatte maßgeblichen Anteil an der Entstehung des Buches.
Kallus hat sich entschlossen, diese Erlebnisse der jungen Generation zu erzählen. Seit einigen Jahren besucht er als Zeitzeuge Schulen. „Wir lebten unbeschwert und friedvoll, bis sich schlagartig alles änderte.“, beschrieb Kallus mit ruhiger Stimme in verständlichem Englisch der aufmerksam lauschenden Schülerschar seine ersten Kindheitsjahre. In Holland geboren und aufgewachsen, wurde er 1942 von den Nationalsozialisten als Zehnjähriger mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Ravensbrück verbracht. „Eines Morgens wurden wir abtransportiert.“ Nach der Trennung von der Familie waren sein Vater in Buchenwald, seine Großeltern in Auschwitz der grausamen Vernichtungsmaschinerie des NS-Regimes zum Opfer gefallen. Kallus schilderte, wie die Kinder im Konzentrationslager überlebten. „Da waren keine Gleichaltrigen. Wir waren gezwungen, plötzlich erwachsen zu werden. Wir wurden wie Erwachsene behandelt.“ Und er bekannte: „Diese drei Jahre meines Lebens fehlen mir bis heute.“
Auch auf das Grauen im Lager und auf den „Todesmarsch“, auf den die Häftlinge 1945 beim Vorrücken der Roten Armee in Richtung Berlin geschickt wurden, ging Kallus ein. „Die Nationalsozialisten wussten plötzlich nicht, was sie mit uns machen sollten. Das Wachpersonal war plötzlich verschwunden, es gab keine Aufseher mehr. Sie hatten die gleichen Kleider an wie wir. Niemand gab uns Anweisungen…wir hatten Kleider, Essen…Du bist frei, aber wofür? Du weißt mit der Freiheit nichts anzufangen…Es galt sodann Leute zu finden, die uns aufnahmen….“. Die ehemaligen Häftlinge hätten an die amerikanischen und russischen Soldaten eine gewisse Erwartungshaltung gehabt. „Aber sie verstanden unser Problem zunächst nicht.“ Kurz danach habe der Weg in die Freiheit begonnen. Er habe alles, seine Familie, verloren, so Kallus, und erst nach seiner Befreiung gelernt zu leben.
Im Anschluss ermunterte er seine jungen ZuhörerInnen zu Fragen, wovon diese auch regen Gebrauch machten. Kallus appellierte an das Auditorium: „Ihr seid die Zukunft von Deutschland! Ihr müsst aus der Vergangenheit, aus diesem fürchterlichen Geschichtsabschnitt lernen. Wir sind alle eine große Familie.“
Die Veranstaltung war auf Initiative von Fachlehrerin Nicole Franz-Fidelak zustandegekommen.